Fritzels Weihnachtswunsch

aus: Für Dich! - Reim und Prosa

(hochdeutsch)

 

„Deine Mama ist gestorben, sie ist im Himmel und kann nun nicht mehr zu dir kommen“, bekam Fritzel stets von seiner alten, mürrischen Pflegerin zur Antwort, als er erst laut und ungestüm, dann sehnsüchtig und bittend nach seinem heimgegangenen Mütterlein verlangte.

 

Ganz still wurde da das sonst so fröhliche Bübchen; der Vater suchte in verdoppelter Arbeit Zerstreuung und Ablenkung von seinem schweren Leid; die Bekannten, die aus- und eingingen, strichen dem Kleinen wohl liebkosend über den blonden Lockenkopf , aber es hatte niemand Zeit, sich des verwaisten Kindes anzunehmen.

 

Doch dann brachen wieder bessere Tage an für unser Fritzel; Tante Frieda, Mamas jüngste Schwester, kam ins Haus und mit ihr der Sonnenschein. Sie nahm sich des armen Bübchens liebevoll an, sein Bettchen wurde in ihr Zimmer gestellt, sie erzählte ihm die herrlichsten Geschichten, lachte und weinte mit ihm und nahm an allen seinen kleinen Leiden und Freuden teil.

 

Ja, damals war Klein-Fritzel wirklich glücklich. Er fühlte sich so geborgen, und auch Papa, der sonst so ernst und still war, lebte wieder auf. – Nun war Tante Frieda plötzlich abgereist. „Ist sie denn auch in den Himmel gegangen, Papa?“ fragte der Kleine. – „Nein, mein Kind“. – „Also, dann kann sie doch auch wieder zu uns kommen“.

 

„Ja, das wollen wir hoffen, Bübchen. Aber sage mal, hast du den Tante Frieda so lieb?“ „Oh, ja, Papa – ich habe sie so lieb – so lieb – ich kann dir gar nicht sagen wie lieb. Ich möchte nur wissen, warum sie fortgegangen ist und mich nicht mitgenommen hat.“ – „Ich habe dir doch schon erzählt, Fritzel, dass Großpapa krank geworden ist, und Tante Frieda ihn nun pflegen will“.

 

Es ist Sonntag heute, kurz vor Weihnachten; glückselig sitzt Fritz auf Papas Knien und schaut ungeduldig auf den großen Bogen Papier und den Bleistift, der vor ihm auf dem Tische liegt. – „Nun wollen wir aber den Brief ans Christkind schreiben, nicht wahr? – Also vor allem soll ich dir wohl einen Kaufladen bestellen?“

 

„Ja, Papa, es soll aber auch ein Verkäufer dabei sein und eine Waage und Tüten und richtiges Geld, das darfst du nicht vergessen.“ – „Und dann weiter, Fritzel?“ Ein Schaukelpferd, male es doch gleich neben hin, damit das Christkind auch weiß, wie ich es haben möchte, nämlich Sattel und Steigbügel sollen auch dabei sein.

 

Aber den Schwanz, oh je, oh je – Papa, das ist ja die Hauptsache, den hast du viel, viel zu klein gezeichnet, der soll ja so groß sein – so groß wie ich! Und dann möchte ich noch einen Helm und ein neues Kleid für meinen Hauptmann.“ Sorgfältig wird nun der Brief gefaltet und adressiert. Papa klebt pro forma sogar noch eine Marke auf und verspricht, ihn gleich zur Post zu bringen.

 

Fritzel ist wieder allein, er sitzt in der Ecke, spielt mit dem Hampelmann, den ihm Tante Frieda geschenkt hat, und plötzlich geht ein helles Leuchten über sein Gesichtel. Hurtig klettert er auf den Tisch, holt sich Papier und Bleistift und zeichnet mit größtem Eifer die schönsten Hieroglyphen. Seine Blauäuglein glänzen, und die runden Bäckchen glühen, als er den Brief behutsam vors Fenster legt.

 

Als Papa nach Hause kommt, erzählt ihm Fritzel geheimnisvoll und wichtig: „Papa, ich habe noch einen Brief ans Christkind geschrieben, aber ich ganz allein! Guck, da draußen liegt er am Fenster. Ich habe nämlich noch geschrieben, ich möchte am aller – aller – allerliebsten wieder eine Mama haben, ich eine, und der Hampelmann eine, und du eine.“

 

Das kleine Kerlchen kann zwar das freudige Aufleuchten in Papas Augen nicht sehen, aber es fühlt doch an dem herzlichen Gute-Nacht-Kuss, dass Papa über diese Machtvollkommenheit nicht böse ist.

 

Weihnachtsabend! In dem großen Saal ist der Vater beschäftigt, die Lichter am Baum anzuzünden, eine liebe, holde Erscheinung legt überall die letzte Hand an. Horch, da klingelt es auch schon, und jubelnd stürmt Fritzel an Großpapas Hand herein. Geblendet von dem Lichterglanz bleibt er erst einen Augenblick sprachlos stehen, dann macht sich die Freude geltend.

 

„Hurra – hurra, ein Kaufladen und ein Verkäufer dabei und Geld und Tüten auch, und sieh doch nur, Großpapa, ein Schaukelpferd, und hat einen Schwanz, richtig so groß wie ich, und da der Helm, den muss ich doch gleich aufsetzen. Aber Papa“, fährt das Plappermäulchen fort, „das Christkind hat meinen Brief scheint es doch nicht bekommen, es hat mir ja keine neue Mama gebracht.“

 

„Fritzel, Herzensbübchen“, ruft da eine liebe, bekannte Stimme, zwei warme, weiche Arme heben ihn in die Höhe und pressen sein Lockenköpfchen an ein erglühendes Gesicht. „Tante Frieda, Tante Frieda, du bist wieder da; jetzt wird es aber erst recht schön“, jubelt der Kleine. Da tritt Papa hinzu und sagt zu seinem Bübchen:

 

„Denk nur, Fritzel, Tante Frieda will jetzt immer bei uns bleiben, sie will deine liebe Mama werden.“ Ungläubig blickt das Kind von einem zum anderen, dann sprudelt es über die frischen, roten Lippen: „Tante Frieda, ist das wirklich wahr, willst du meine Mama sein – meine seine und dem Papa seine und meinem Hampelmann seine?“

 

Alles, alles, was du willst, Herzel“, antwortet Tante Frieda, indem sie, das Bübchen auf dem Arm, aus dem hellen Lichterglanz ans Fenster tritt. Dort steigt ein inniges Gebet, ein heiliges Gelöbnis einer reinen, edlen Frauenseele zu den Sternen empor.

 

Lina Sommer