Possen

aus:Hausapothek (1933)

in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten

 

(Dieser Text ist in pfälzer Mundart zu lesen, wenn er hochdeutsch gelesen wird,

ergibt sich an vielen Stellen ein schlechtes oder sogar falsches Deutsch)

 

 

An einem schönen Abend, wie wir alle miteinander in unserem Wohnzimmer um den großen, runden Tisch gesessen sind, lässt der Papa die Brille ein bisschen von der Nase rutschen, fixiert uns von oben bis unten und sagt: „Also, ihr werdet mich jetzt verstanden haben, Kinder, morgen früh um fünf muss ich verreisen, ich weiß noch nicht, wann ich wieder komme, so viel sage ich euch aber, wer nicht pariert, der kriegt nichts mitgebracht, nicht einmal ein Stückchen Hasenbrot, da darauf könnt ihr euch verlassen. Namentlich du, Große“, hat er zu mir gesagt, „du kannst dir es hinter die Ohren schreiben; anstatt dass du als Älteste deine Geschwister mit einem guten Beispiel voran gehst, hast du nichts als Possen im Kopf, und bist immer die Haupträdelsführerin; es ist weiß Gott Zeit, dass du ein bisschen anders wirst.“

 

„Ja, Papa“, sage ich, „ich verspreche dir es, ich will mich bessern, du sollst deine helle Pläsier an mir erleben, wenn du wieder kommst; aber gelt, du bringst mir auch etwas Schönes mit, gucke, so ein Medaillon-chen an einer Kette, das möchte ich gar zu gerne.“

 

Kaum dass ich recht im Bett gelegen bin, da kommen mir gleich wieder allerhand nichtsnutzige Gedanken. In unserem Garten ist ein Bergamotte-Birnbaum gestanden, von diesem hat kein Mensch etwas essen dürfen, als gerade nur unser Vater. War einmal eine Birne vom Baum gefallen, so haben wir sie geschwind abliefern müssen, nicht einmal riechen sollten wir daran. Das hat mich schon oft verdrossen, und weil die Birnen gerade so schön zeitig waren, habe ich mir vorgenommen: „Morgen früh, wenn der Papa fort ist, machst du dich dahinter.“ Es war mir aber doch ein bisschen zu riskant, die Geschichte alleine zu unternehmen, und so springe ich also tapfer aus meinem Bett, hinüber auf die andere Seite, wo meiner Schwester Elis ihr Bett gestanden ist, und um zu probieren, ob sie noch wach wäre, petze ich sie fest in die Backe.

 

Sie fängt gleich an zu kreischen: „au weh, au weh“, ich pispere ihr aber in das Ohr: „sei still, Elis, mache kein Spektakel, morgen früh, wenn der Papa fort ist, gehen wir in den Garten, lesen die Bergamotte-Birnen unter dem Baum auf und nehmen sie mit in die Schule.“

 

„Ich gehe nicht mit, Linchen, hole dir sie nur alleine.“

 

„So, auch gut, ich brauche dich noch lange nicht, aber bilde dir nur nicht ein, dass du etwas davon kriegst. Und verrate mich nicht, sonst geht dir es schlecht, sonst sage ich dem Papa, dass du gestern der Großmutter ihre schöne, geblümelte Kaffeetasse kaputt gemacht hast.“

 

Mit dieser argen Drohung habe ich mich wieder hingelegt und es dauert auch keine Minute, da macht mir die Elis eine Gegenvisite und sagt: „Linchen, bist du noch wach, ich tue doch mit, du musst aber ehrlich teilen, gelt?“

 

„Mama, Mama, die Elis läuft mit bloßen Füßen herum und tut alsfort schwätzen mit dem Linchen“, hat da unsere jüngste Schwester geplärrt, und gleich sind wir mäuschenstill gewesen.

 

Am anderen Morgen, wie die Babette gekommen ist, für uns zu wecken, war sie ganz erstaunt, dass wir schon aufgestanden waren. Sonst hat es alle Morgen einen Zores gegeben, sie täte uns beim Waschen riwweln (reiben) und beim Kämmen rupfen und zupfen, aber heute waren wir still wie die Lämmer. Kaum haben wir unseren Kaffee getrunken gehabt, sind wir herunter gerannt in den Garten. Oh weh, keine einzige Birne hat uns den Gefallen getan gehabt, herunter zu fallen. „Die hat sich gewiss der Papa schon aufgelesen, ehe er verreist ist“, sage ich zur Elis, „aber ohne Birnen gehe ich nicht in die Schule, wer weiß, wann wir wieder einmal so eine gute Gelegenheit haben; warte ein bisschen, ich hole einen Bohnenstecken, und dann schlage ich so lange an die Äste, bis die Birnen herunterpurzeln.“

 

„Wenn es aber der Papa merkt“, Linchen?“

 

„Dummes Ding, du – meinst du vielleicht, der täte sich hinstellen und seine Birnen zählen – der hat andere Sachen im Kopf.“ Ich schlage also mit der Bohnenstange aus Leibeskräften auf den Baum, und die Birnen fallen herunter, es war eine helle Pläsier.

 

„Jesses, Linchen, höre auf, wo sollen die vielen Birnen alle hin“, jammert die Elis.

 

„Na, so eine dumme Frage, – in das Spital schicken wir sie nicht, gegessen werden sollen sie, – was denn sonst. Jetzt aber mache voran, hebe die Blätter auf und schmeiße sie über die Gartenmauer, und mache den Sand ein bisschen glatt und egal, dass niemand etwas merkt, ich trage derweil den Bohnenstecken retour.“

 

Nachher haben wir unseren Raub geteilt, in die Schulranzen gepackt und wollten uns gerade auf den Weg machen, als auf einmal, wie aus dem Erdboden gewachsen, unser Vater vor uns steht.

 

„Guten Morgen, Papa, ich habe gedacht, du wärst verreist“, platze ich heraus.

 

„Na, da hört sich doch alles auf, die Unverfrorenheit geht doch über das Bohnenlied, – nicht einmal eine Entschuldigung sagst du“, kreischt er mich an. „Her mit den Birnen, – und dann marsch in die Schule – das Weitere wird sich finden, heute Mittag.“

 

Wie die begossenen Pudelchen sind wir fortgetrosst. – Die Elis hat in einem fort geweint: „Hätte ich dir nicht gefolgt, – du bist schuld daran, - hätte ich dir doch nicht gefolgt.“

 

Wie wir mittags heimkommen, sitzt der Vater am Tisch und hat ab und zu einen ganz vernichtenden Blick auf uns geworfen. Die Elis hat alsfort in ihren Teller geguckt, ich aber lasse meine Augen franchement durch das Zimmer spazieren. Die Babette bringt die Suppe herein und wie sie wieder draußen ist, sagt der Papa: „Sage mir einmal, Elis’chen, wie kommst denn du – wo du doch sonst so brav bist, dazu, meine Bergamotte-Birnen zu kribsen?“

 

„Ach, Papa – ich kann nichts dafür – das Linchen hat mich so lane gequält, bis mit getan habe.“

 

„Die lügt, – das ist nicht wahr, – sie hat selbst mittun wollen“, wehre ich mich, – und übrigens hat sie auch gestern der Großmutter ihre schöne, geblümelte Kaffeetasse kaputt gemacht.“

 

„Habe ich dich vielleicht da danach gefragt – willst du auch noch die Angeberin spielen“, hat mich der Vater unterbrochen.

 

„Nein, – aber, wenn das Elis’chen so ist, kann ich auch so sein.“

 

In diesem Moment kommt die Babette wieder herein und stellt eine Platte voll Pfannkuchen auf den Tisch; ei, da ist mir aber mein Herzlein aufgegangen.

 

(hochdeutsch:) „Linchen, stelle dich in die Ecke, du hast gegessen für heute, Strafe muss sein“, hat unser Vater gesagt, und jetzt habe ich gleich gewusst, woran ich bin. Denn, wenn er hochdeutsch gesprochen hat, war nicht gut mit ihm Kirschen essen.

 

Ich marschiere also in meine angewiesene Ecke, und drehe mich – auf höheren Befehl – mit dem Gesicht gegen die Wand.

 

„Papa, Papa, eben hat sich die Lina herumgedreht und hat dem Elislein eine lange Nase gemacht“, hat meine kleine Schwester gemeldet, – und ich, – um zu zeigen, wie wenig mir an der Strafe gelegen wäre – und dass ich auf die ganzen Pfannkuchen pfeife – fange an zu lachen – zu lachen, dass es nicht mehr schön war. Das hat dann ansteckend auf das Elislein gewirkt, sie lacht mit, verschluckt sich dabei, und fängt an, den ganzen Pfannkuchen wieder heraus zu husten, so dass der Vater mit einer demonstrativen Handbewegung gedonnert hat: (hochdeutsch:) „Elise, stelle dich in die andere Ecke. Da haben wir uns dann gegenseitig die schönsten Fratzen geschnitten, und alsfort gelacht, so dass unser Vater kommandiert hat: (hochdeutsch:) „Marsch, hinaus mit euch beiden.“ Wie wir draußen auf dem Gang noch so recht am Kichern waren, fliegt auf einmal die Türe auf – und unser Bruder stürzt heraus. „Ha-ha, Schorschl, du hast gewiss auch gelacht“, haben wir ihm zu gegrinst, und dann haben wir alle drei unsere Zuflucht in die Küche genommen, zur Babette. Dieser haben wir dann unser Malheur erzählt, und die gute, alte Seele hat jedem einen Extra-Pfannkuchen spendiert; wir haben uns auf den Tisch gesetzt wie die Schwalben auf den Telegrafendraht, haben die Beinchen herunter bambeln und uns unsere Delikatesse gut schmecken lassen.

 

Bums – da geht die Tür auf, und das runde, gutmütige Gesicht von unserem Vater guckt herein. Im Nu, wie auf Kommando, hat jedes seinen Pfannkuchen hinter den Rücken gehalten, und wir haben die unschuldigsten Gesichter von der Welt gemacht. Der Vater hat gewiss bei dem lieblichen Anblick von seinen drei hoffnungsvollen, strampelnden Sprösslingen seinen Ärger vergessen – es hat ihm wenigstens ganz verräterisch um die Mundwinkel gezuckt – und mit dem Ausruf: (hochdeutsch:) „Babette, das hätte ich nie gedacht, dass Sie meine väterliche Autorität dermaßen untergraben“, hat er sich zurückgezogen – vielleicht hat er draußen ebenso gelacht wie wir drinnen.

 

Am Nachmittag ist, wie gewöhnlich, unser Onkel in den Garten gekommen; er war ein Junggeselle und hat gerne seinen Spaß mit uns getrieben. Wie er uns so übermütig sieht, frägt er, was „die allgemeine Heiterkeit“ zu bedeuten hätte, und wie wir ihm dann die Birnen- und Pfannkuchen-Geschichte erzählt haben, sagt er: „Kinder, Kinderchen, für all diesen ausgestandenen Schreck kriegt jedes zehn Pfennig. Glückselig sind wir mit unserem Geld fortgelaufen und haben uns so im Stillen überlegt, was wir uns für ein Bene antun könnten.

 

Auf der Gasse begegnet mir meine Schulkameradin. „Ätsch, ätsch“, rufe ich ihr zu – „jetzt gehe ich hin und kaufe mir etwas – brauchst aber nicht mitzugehen, du kriegst doch nichts, – warum warst du gestern so patzig, und hast in der Schule gesagt, dein Vater hätte mehr Geld als meiner.“

 

„Du freche Krott“, ruft sie mir nach, ich aber mache, wie wenn ich es nicht gehört hätte und bin dann „im Bewusstsein meines Wertes“ in den nächsten Laden gegangen. Dort habe ich mein Geldstückchen auf den Tisch gelegt, und habe für fünf Pfennig Süßholz und für fünf Pfennig Lakritz verlangt. Auf einmal ist mir so eine Reihe von gelben Scheiben aufgefallen, die in einer Schnur eingefädelt, vom Regal herunter gehangen haben.

 

„Ach, entschuldigen Sie doch“, sage ich, „lassen Sie lieber die Lakritz weg und geben Sie mir für fünf Pfennig von dem da droben, das habe ich noch gar nicht probiert.“

 

„Was – das willst du essen, – dumme Gambel“, – schnauzt mich der Ladendiener an, „siehst du denn nicht, dass das Leim ist?“

 

Ich werde natürlich rot bis über die Ohren, stecke mein Süßholz und mein Lakritz ein, werfe dem jungen Mann einen Blick zu, in dem ich aller meiner Würde als gekränkte, zahlende Kundin Ausdruck gegeben habe, und bumse die Türe zu.

 

Draußen ist noch meine Kameradin gestanden und hat neidisch auf das Stück Süßholz in meinem Mund gespitzt.

 

„Linchen, gucke einmal her, was ich da habe“, hat sie mich so angeredet.

 

„So, jetzt soll ich wieder auf dein dummes Geschwätz hören, und vorhin hast du gesagt, ich wäre eine freche Krott.“

 

„Awa, das war nicht so böse gemeint, es ist mir nur so herausgefahren, weil alle die anderen Mädchen sagen, du wärst arg frech. Aber gucke einmal her, was ich da habe. Das ist ein Stücklein rotes Glas, wenn man da durchguckt, kann man die ganze Welt rot sehen. Gibst du mir dein Süßholz, dann gebe ich dir mein Glas.“

 

Ich suckele also noch einmal aus Leibeskräften an meiner Delikatesse, nehme mein rotes Glas in Empfang, und meine Kameradin ist mit ihrem Tauschobjekt fort gelaufen.

 

Wie ich so dabei bin, die Welt im rosigen Licht zu betrachten, kommt mein Elislein die Gasse herunter und weint zum Erbarmen. „Ach, Linchen“, sagt sie, „ich bin im Konditorladen in der Hauptstraße gewesen und habe für fünf Pfennig Apfelkuchen gewollt und da hat mich die Madame geschasst. Beim Herausgehen ist mir mein Geld auf den Boden gefallen und wie ich es suchen will, gibt mir die Madame einen Stumper und macht die Türe hinter mir zu.“

 

„Liebes, hast du denn für ganz gewiss dein Geld drinnen im Laden verloren, und nicht auf der Gasse?“

 

„Freilich, meiner Seele, ich kann es sogar beschwören.“

 

„Dann sei nur still, ich verschaffe dir es wieder, – man braucht sich doch nicht gerade alles gefallen zu lassen. Erst musst du mir aber versprechen, Herzlein, dass du mir die Hälfte von dem gibst, was du dir nachher kaufst.“

 

Wie dann der Kontrakt mit Handschlag zur beiderseitigen Befriedigung geschlossen war, stiefeln wir in die Hauptstraße auf den Konditorladen zu. „Warte nur, Elislein, jetzt sollst du etwas erleben, ich mache nämlich gar nicht lange Kommers; wenn mich die Madame nicht suchen lässt, dann zeige ich sie auf der Polizei an wegen Unterschlagung – oder ich lasse sie durch einen Schutzmann arretieren“, habe ich mich in heiligen Eifer hineingeredet.

 

Drinnen im Laden habe ich dann über die Theke hinüber gerufen: „Madame, meine Schwester hat vorhin in Ihnen Ihrem Laden ein Fünferlein verloren, und das möchte ich jetzt suchen, weil Sie sie geschasst haben. Wahrhaftig, da liegt es ja auf dem Boden. Komme, Elislein, hole dir es. – Nein, bei Ihnen kaufen wir nichts mehr, wir wollen es auch unserer Mama sagen, wo für ihr Kränzlein immer die guten Meringue-Torten bei Ihnen bestellt, unsere Kundschaft sind sie los.

 

Arm in Arm haben wir uns in einem anderen Laden Baweljotten (Papilotten = in Papier eingewickelte Bonbons) gekauft, und froh wie die Götter sind wir heim getrosst.

 

Das ist schon lange her, seit ich der Speyerer Konditors-Frau den Standpunkt klar gemacht habe, und mit Wehmut und doch wieder Freude denke ich an die Zeit zurück, wo uns Süßholz und Lakritz – ein Stückchen rotes Glas, ein frisch gebackener Pfannkuchen und eine Tüte voll Baweljotte das Begehrenswerteste von der Welt gewesen sind.

 

Lina Sommer