Mehr Blumen im Leben, weniger im Tod!

aus: Für Dich! - Reim und Prosa

(hochdeutsch)

 

Gewiss ist es eine schöne, pietätvolle Sitte, unseren Entschlafenen einen Blumengruß auf den letzten Weg mitzugeben, und doch, wie sehr wird darin heutzutage übertrieben! Wenn ich die Berge von Blumen bei den Leichenbegängnissen sehe, unter denen die einzelne Spende ja ganz verschwindet, muss ich mich doch fragen: ist dieser Luxus eigentlich im Sinne des Verstorbenen? Und es kommt mir oft vor, als ob man sich durch eine Blumen- oder Kranzspende loskaufen möchte von Unterlassungssünden, von Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit, mit der man dem Heimgegangenen begegnete.

 

So viel Aufmerksamkeit im Tode – so wenig im Leben.

 

Wie dankbar wäre der stille Schläfer für einen Blumengruß, für ein bisschen Interesse zu Lebzeiten gewesen; er hat sich vielleicht oft danach gesehnt. Ich denke jetzt nicht nur an die in Gärten und Treibhäusern gezogenen Blumen, – ich denke auch an andere, ihnen verwandte. Ein liebes, freundliches Wort, – ein leiser Druck der Hand, – ein warmer, herzlicher Blick, – ein Entgegenkommen und teilnehmendes Interesse von Mensch zu Mensch, – fühlbares Wohlwollen, – sind das nicht alles Blumen, die uns den Alltag verschönern und hell machen? Nicht nur, dass wir sie zu jeder Jahreszeit zur Hand haben, dass sie nichts kosten, – sie schaffen dem Empfänger und dem Geber fröhliche Herzen, denn jede dargebrachte Freude fällt ja wieder in die eigene Seele zurück.

 

Blumen dieser Art den Lebenden, den Mitmenschen, auf den mühseligen Weg - in unsere jetzt so liebeleere Zeit dargebracht, sind hundertmal wertvoller als auch die reichsten Kranz- und Blumenspenden im Tod.

 

Zur rechten Zeit,

zur rechten Zeit,

lasst uns daran gedenken,

eh‘ wir den still Entschlafenen

zum Abschied Blumen schenken,

dass ein klein-winzig Blümelein

lieb-froh gebracht im Leben,

wiegt tausendfach die Kränze auf,

die wir den Toten geben.

 

Lina Sommer