Eine Mordnacht

aus: Dess un Sell, Das Lewe is kä Kinnerschbiel

(in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten)

 

Der Georg, ein Bauer von echtem Schrot und Korn, hat in Unterhausen, der Michel, sein Vetter, hat in Oberhausen gewohnt, und jeder von diesen zwei Mannsleuten hat einen rechten Drachen zur Frau gehabt.

 

Damit jetzt dem Georg seine Babette nicht jeden Schoppen, wo er trinkt, kontrollieren kann, ist der als nach Oberhausen, und dass dem Michel sein Binchen ihn nicht aus dem Wirtshaus holen kann, ist der als nach Unterhau-sen zum Kneipen gegangen.

 

An einem schönen Abend, es war gerade zur Zeit vom „Neuen“, hat der Georg in Oberhausen und der Michel in Unterhausen ein bisschen zu tiefins Glas geguckt, und mit Ach und Krach hat sich jeder auf den Heimweg gemacht.

 

Der Wind hat um die kahlen Bäume gepfiffen, der Mond hat sich versteckt, der Regen ist heruntergetröpfelt die Nachteulen haben ihr Wesen getrieben, sämtliche Geister, Hexen und Gespenster waren mobil, kein Wunder, wenn einem da das Herz bis zu aller-aller-unterst in die Hosen gepurzelt ist.

 

Oh mei, oh mei, wäre ich doch schon daheim bei meiner Babette, heute ist ja die reinste Mordnacht, hat der Georg gedacht, und der Michel ist so vorsichtig daher geschlichen, wie wenn er auf lauter rohen Eiern gehen täte.

 

Auf einmal ist der Mond so ein bisschen aus den Wolken geschlüpft und der Georg sieht, wie einer auf der Chaussee daher kommt und gerade auf ihn los steuert. Er nimmt also seine ganze Courage zusammen, stellt sich in Positur, packt mit seinen zwei Fäusten seinen Knüppelstock und denkt: tust du mir nichts, tue ich dir auch nichts, aber wenn schon – dann schon.

 

Wie er sieht, dass der Kerl auch in der Defensive stehen bleibt, da fällt es ihm ein, dass er einmal gelesen hat: der Angreifer wäre immer im Vorteil und mit den Worten: Spitzbube, Halunke, Räuber, warte, dir will ich das Handwerk legen, haut er aus Leibeskräften darauf los.

 

Sein vis-a-vis auch nicht faul, reißt ihm den Knüppel aus der Hand, dann haben sie sich mit den Fäusten malträtiert, die Gesichter verkratzt, an den Gurgeln gepackt, und schließlich sind sie längs-längs in den Chaussee-Graben gepurzelt. Bürgerhilfe, Bürgerhilfe, hat der eine, Feier, Feier, hat der andere gekrischen.

 

Wie sie so ihren Herzen Luft machen, blitzt ein Revolverläufchen auf, und mit der Drohung: das Geld oder das Leben, steht ein leibhaftiger Räuber da. Er macht nicht lange Commers, visitiert die Hosensäcke und die Schillehtäschelchen, kribbst alles, was er finden kann, und – schnell wie er gekommen ist – verschwindet er im Gebüsch. Sein Blendlaternchen wirft einen kleinen Schimmer zurück, und da geht dem Georg ein Lichtlein auf.

 

Jesses, Jesses, nein Michel, bist du es oder bist du es nicht, ruft er und: ja, Georg, wenn du es bist, bin ich es auch, kriegt er zur Antwort. Dann haben sich die zwei Helden aufgeholfen, gestützt, abgeputzt, und ewige Treue und Freundschaft geschworen.

 

Nein, nein, so eine Mordnacht, so eine Mordnacht, die soll mir zeitlebens gedenken, konstatiert der Georg, und mir auch, mir auch, stimmt der Michel zu.

 

Und dabei war die Mordnacht da draußen auf der Chaussee doch nur ein reines Waisenkind gegen diese Mordnacht, die wo den Georg daheim bei seiner Babette und den Michel bei seiner Binchen erwartet hat.

 

Lina Sommer