Die Staatsprokuraterin

aus: Dess un Sell

aus: Hausapothek

in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten


Neulich habe ich wieder einmal in alten Papieren gekramt, und da ist mir ein Blättchen in die Hände gefallen, das wo ich schon lange vergessen gehabt habe – und ich habe wieder einmal so recht herzhaft lachen können. Auf dem Blättchen steht nämlich von der Hand von meinem Bruder, der selbigen Mals zwölf Jahre alt gewesen ist und ein Tagebuch geführt hat, der Vers:

 

Lina und Frida, die blassen,

sind schon aus der Schule entlassen;

drum haben die Eltern beschlossen,

sie tanzen lernen zu lossen.

Zum Guttendhal gehen sie beide,

die Mamma geht ihnen zur Seite.

 

Jetzt tuen sie gar nichts mehr schaffen,

als nur in den Spiegel zu gaffen,

oft kommen auch andere so Pflanzen,

da hupsen sie alle und tanzen

und machen als so Komplimente,

dass ich mich fast schepp lachen könnte.

 

Mannheim, Januar 1879

So mein Bruder über die Tanzstunde. –

 

Lina und Frida, damit sind meine Schwester und ich gemeint, und köstlich ist der Verlegen-heitsreim „die blassen“ und „aus der Schule entlassen“, denn wir haben geblüht wie die Rotröslein! Herrlich ist auch „beschlossen“ und „lossen“ – aber ich wundere mich doch über das Versmaß von dem Zwölfjährigen. Ein Glück nur, dass er nicht unter die Dichter gegangen ist, sondern einen nahrhafteren Beruf ergriffen hat.

 

Was ist mit dem Verslein wieder alles aus selbiger Zeit auf-gewacht; namentlich ein Abend ist mir in ganz besonderer Erinnerung. Wir waren bei der Guttendhal in der sogenannten Mittwochsgesellschaft, – und Mittwochs war gerade der Tag, wo es bei uns zum Nachtessen im Winter immer Schellfisch gegeben hat. Unser guter Papa war ein bisschen ein Schnäker und ein Hafen-Gucker – kein Dienstmädchen hat ihm gut und appetitlich genug gekocht, – „für was habe ich denn zwei große Töchter“, hat er als gesagt, – und so haben meine Schwester und ich abwechslungsweise die Küche besorgen müssen.


Den Käsekuchen und Zimtkuchen für Sonntags haben wir nie Samstags backen dürfen, – nein, am Sonntag Morgen, – denn er hat ihn immer ganz frisch gewollt, – und den Schellfisch für Mittwoch abends, den haben wir nicht am Vormittag holen dürfen – awa – immer erst wenn die Zeitung da war, so um fünf(e) herum. Da hat er geguckt, wo die frischen Fische eingetroffen waren, und wir haben als mit all unserer Tanzstunden-Vorfreude und -Ungeduld noch Gott weiß wie weit laufen müssen.

 

So war es auch wieder einmal Mittwoch Abend, mein Einbrennsüppchen war fertig, die Soße auch, – das Teewasser im Kessel und das Wasser im Fischhafen sind auf dem Herd gestanden, die Babette hat die Grumbeeren (Kartoffeln) geschält, – ich bin halb verzwatzelt, – habe in meiner Küche herumgezappelt wie selbst ein Fisch auf dem Trockenen, – endlich, um halb sechs habe ich dann Order gekriegt, wo ich den Schellfisch zu holen habe.


Wie wir jetzt mit Ach und Krach beim Essen sitzen, sagt der Papa: „Du, Große, du bist mir eine  schöne Köchin, du – was hast du denn mit dem Fisch gemacht, der hat ja gar keine Spur von Salz“. „Papa“, habe ich im Gefühl meiner Sicherheit gesagt, „ich weiß für ganz gewiss, dass ich das Fischwasser gesalzen habe. Gucke, ich habe sogar eine ganze Hand voll genommen und habe Angst gehabt, es wäre am Ende zu viel.“


„So“, meint der Papa, „bis jetzt habe ich noch nicht gewusst, dass du dich mit Ausreden oder Lügen abgibst – ich hätte es auch nicht gedacht, dass ich das an dir erleben muss. Wenn ich sage, der Fisch hat kein Salz, dann hat er keines, verstanden ? Versuche ihn nur, dann wirst du schon schmecken, dass ich recht habe.“

 

Mit dem besten Willen habe ich aber keinen Bissen hinunter gebracht, – dass mein Papa mir nicht auf das Wort geglaubt hat, das war mir doch zu arg, und ich hätte geheult wie ein Schlosshund, wenn ich nicht Angst gehabt hätte, mit verheulten Augen in die Tanzstunde zu kommen. Es hat mich aber nachher niemand mehr in das Wohnzimmer gebracht, ich habe der Babette gesagt, sie sollte abdecken und den Tee aufbrühen und hinein tragen.


Für allen meinen Kummer bin ich dann reichlich entschädigt worden. Gerade der von unseren „Herren“, der wo mir am besten gefallen hat (in der pfälzer Ecke im Himmel passt er schon auf mich), der hat mich zu jeder Tour engagiert, und hat zu seinen himmelblauen Augen auch noch eine funkel-nagel-neue himmelblaue Krawatte getragen, und wie dann, wie gewöhnlich, der Papa um elf(e) gekommen ist, für die Mama und uns abzuholen, da habe ich wahrhaftig ganz vergessen gehabt, dass ich „böse“ mit ihm war, und habe mich bei ihm eingehängt.


Auf einmal frägt er: „Na, Große, weißt du, was du angestellt hast ?“

 

„Ich, Papa – ei nein, ich weiß von nichts“.

 

„So, aber ich weiß es umso besser. Ich will dir es sagen: das Fischwasser hast du nicht gesalzen, aber …“

 

„Doch, Papa, alleweil fällt mir es wieder ein – auf Ehre und Seligkeit – eine ganze …“

 

„Still, – lasse mich ausreden, – noch einmal sage ich dir es: das Fischwasser hast du nicht gesalzen, aber das Teewasser, das hast du gesalzen, – und zwar nicht zu knapp – da hast du recht; eine ganze Hand voll – mir brennt jetzt noch der Hals.Die Tanzstundenzeit wir doch einmal ein Ende haben !“


„Gelt, ich habe Recht gehabt, Papa, mit dem Salz, – ich habe mir nur vergriffen, – gelogen habe ich nicht.“

 

„Auch gut, alte Staatsprokuraterin“, hat mein Papa gelacht.

 

Lina Sommer



Originalschreibweise folgt