Die Schraube

aus: Dess un Sell (1925)

(in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten)

 

(Dieser Text ist in pfälzer Mundart zu lesen, wenn er hochdeutsch gelesen wird, ergibt sich an vielen Stellen ein schlechtes oder sogar falsches Deutsch)

 

 

Eine Mücke hat es gequält, darum ist das liebe, kleine Heinerle in seinem schönen Wägelchen früher aufgewacht, als auf der Tagesordnung gestanden ist. Zuerst hat es seine blauen Guck-Äugelchen durch die Stube spazieren lassen; dann hat es probiert, durch Recken und Strecken die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und wie sich kein Mensch um es bekümmert hat – das war ihm nämlich in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen, – da hat es den Gekränkten gespielt und hat angefangen, zu kreischen und zu kreischen, bis endlich die Mama und das Kindermädchen, die droben auf dem Speicher Vorhänge zum Trocknen aufgehängt haben, ganz erschrocken in die Stube gestürzt sind.

 

„Heinerle – mein liebes, gutes Heinerle – was ist dir denn? – sagt die Mama ganz ängstlich, – wickelt ihr Bübchen auf – legt es trocken, trägt es herum, – aber es hat alles nichts genutzt und nichts geholfen, das Kerlchen hat gestrampelt und geschrien, wie wenn es am Spieß stecken würde, hat die Milchflasche weggestoßen und schließlich war es am ganzen Körperchen so rot wie ein Krebs.

 

„Ach Gott, ach Gott, Madame – da gucken Sie einmal her,“ fängt auf einmal das Kindermädchen an – ,„da am Dach vom Wägelchen fehlt ja ein Schräubchen, das war gestern schon wackelig – am Ende hat das Heinerle das Schräubchen verschluckt.“

 

Die Mama inspiziert die Geschichte, fällt fast in Ohnmacht, und schickt die Käthchen geschwind ins Büro, für den Papa zu holen.

 

„Herr Kontrolleur – Herr Kontrolleur, einen schönen Gruß von Ihnen Ihrer Frau,“ hat sie ausgerichtet, „und Sie sollen doch gleich heim kommen, das Heinerle hätte eine Schraube verschluckt.“

 

„Was – eine Schraube verschluckt – mein Heinerle – ei Himmelsapperlott noch einmal, wie kann denn so etwas passieren? Nichts wie fort und den Doktor geholt, Käthchen – was stehen Sie denn so einfältig da, Sie Schneegans, Sie!“ Damit schlüpft der Herr Kontrolleur in seinen Überzieher, lässt Büro Büro sein und läuft fort im schnellsten Tempo.

 

Seine Frau fällt ihm leichenblass in den Arm, das Heinerle liegt splitternackt auf dem Tisch und krümmt sich wie noch einmal ein Würmchen. Die Hausleute sind versammelt und fingern und probieren an dem Kind herum, und gleich kommt auch der Doktor mitsamt der Käthchen in der Chaise angefahren. Die hat ihn unterwegs schon instruiert; er verschreibt ein Säftchen und sagt, man sollte es ihm telefonisch zu wissen geben, wenn das Schräubchen zum Vorschein kommen würde; anderenfalls müsste er gegen Abend wieder kommen, für andere Verordnungen zu geben.

 

„Habe ich es nicht gesagt – habe ich es nicht gesagt, das Heinerle muss operiert werden“, – triumphiert eine alte Base, und die arme Mama bricht vollends zusammen. Der Papa legt sie auf das Kanapee – knöpft ihr die Taille auf – hält ihr ein Fläschchen Kölnisches Wasser unter die Nase, und wie sie wieder zu sich kommt, sagt er, er wollte ein Auto nehmen und hinausfahren in die Vorstadt, für seine Mutter zu holen, vielleicht könnte die etwas helfen.

 

Wie er dann in einer halben Stunde mit der Großmutter kommt, steht das Kindermädchen an der Haustür und lamentiert und erzählt der ganzen Nachbarschaft, das Säftchen hätte schon gewirkt, die Schraube wäre aber nicht dabei gewesen, und heute Abend würde das Heinerle auf „Tod und Leben“ operiert werden.

 

Die Großmutter geht in ihrer sanften, stillen Art in die Stube hinein, – tröstet die arme Mama und redet ihr lieb zu, – beruhigt das kleine Heinerle, betrachtet sich das Plätzlein, wo das Schräubchen gesessen ist, und frägt, ob es denn auch wahrhaftig jemand gesehen hätte, dass das Kind das Schräubchen auch verschluckt hätte. Trotz aller spitzen Reden und vorwurfsvollen Blicken lässt sie sich nicht irre machen, dreht die Kopfkisselchen herum, wendet die Matratze – und richtig, da fällt die Schraube, die so viel Unruhe angestiftet hat, ganz friedfertig auf den Boden.

 

Wenn ihr aber jetzt vielleicht denkt, ihr Leutchen, man wäre der Großmutter dankbar gewesen – seid ihr arg auf dem Holzweg. Im Gegenteil, man hat es ihr förmlich übelgenommen, dass sie konstatiert hat, dass das Heinerle das Schräubchen nicht verschluckt hat!

 

Lina Sommer