Die rote Plüschgarnitur

aus: Dess un Sell (1925)

(in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten)

 (Dieser Text ist in pfälzer Mundart zu lesen, wenn er hochdeutsch gelesen wird,

ergibt sich an vielen Stellen ein schlechtes oder sogar falsches Deutsch)

 

 

„Du, Babette“, sagt die Frau Ober-Steuer-Kontrolleur zu ihrer Freundin, der Frau Steuer-Kontrolleur, „ich habe dir doch kürzlich erzählt, dass meine Tante Malchen gestorben ist, und jetzt denke dir einmal, hat mir die gute, alte Seele in ihrem Testament ihre hochrote Plüschgarnitur vermacht. Wäre sie doch vier Wochen früher gestorben, da hätte ich mir meine neue matt-lila Seidengarnitur nicht angeschafft. Ich kann doch jetzt keine zwei Garnituren in meinen Salon stellen. Verkaufen will ich sie auch nicht, und da habe ich an dich gedacht, Babette, und will sie dir verehren, Deine gute Stube ist sowieso ein bisschen armselig, da kannst du dann noch Staat damit machen.“

 

„Was fällt dir ein, Friederike, ich werde doch so etwas nicht annehmen, das wäre ja noch schöner“, wehrt die Madame Steuer-Kontrolleur.

 

„Du brauchst dir gar keine Skrupel zu machen, Babettchen, ich schenke sie dir ja nicht; wenn ich sie wieder einmal brauchen täte, wäre ich schon so frei und täte sie wieder holen lassen. Ich lasse den Frachtbrief direkt auf dich schreiben, es braucht ja kein Mensch zu wissen – also abgemacht, es bleibt dabei.“

 

Die Frau Steuer-Kontrolleur hat noch allerhand vorgebracht, aber schließlich hat sie doch ihrer Vorgesetzten nicht nichts abschlagen dürfen, und an einem schönen Tag ist die rote Plüschgarnitur vor dem Haus abgeladen worden. Zehn Minuten später hat es schon in der ganzen Gasse geheißen: ´s Herr Steuer-Kontrolleurs müssten entweder geerbt oder gewonnen haben; so eine schöne hochrote Seiden-Plüschgarnitur, wie die sich angeschafft hätten, wäre ja weit und breit nicht zu sehen. Und es war aber auch der helle Staat, so ein recht weiches, kommodes Kanapee, das vor lauter Wohlbehagen mit dem ganzen Gesicht gelacht hat, zwei patriarchalischen Sessel mit Armlehnen, und sechs kleine Sesselchen drum herum, gerade wie so eine recht behäbige Bürgersfamilie, Großmutter, Eltern, und sechs Kinder.

 

Den Winter darauf sind der Frau Ober-Steuer-Kontrolleur ihre Klara und der Frau Steuer-Kontrolleur ihr Lottchen in die Tanzstunde gekommen. Die Klara war lang und dürr wie ein Bohnenstecken, hochnäsig, ein bisschen blasiert und geziert, währenddessen das Lottchen frisch und rund wie ein Apfel und voller Lust und Leben war. Natürlich hat das Lottchen, trotzdem ihr Papa nur Steuer-Kontrolleur war, viel besser gefallen, und die Frau Ober- Steuer-Kontrolleur hat sich grün und blau geärgert.

 

Beim Tanzstunden-kränzlein ist das Lottchen nur so bestürmt worden und hat sich vor lauter Tänzern nicht zu helfen gewusst, und die Klara ist eine ganze Tour sitzen geblieben.

 

„Babette“, stürzt jetzt die Frau Ober- Steuer-Kontrolleur auf die Frau Steuer-Kontrolleur zu, „es ist eine Schande und ein Spott, wie dein Lottchen dekolletiert ist, und wie sie sich benimmt, und wie sie poussiert. Kein Wunder, dass die alle die besten Tänzer wegschnappt, wenn sie den Herren so Avancen macht.“

 

„Was, mein Lottchen täte Avancen machen, und zu arg dekolletiert wäre sie auch? Ich kann mir es denken, dass du deine Klara nicht ausgeschnitten gehen lässt, diese mit ihren Spinnen-Ärmchen und mit ihrem Knochengestell müsste sich gut ausnehmen.“

 

„Babette“, sagt die Frau Ober- Steuer-Kontrolleur, „ist das der Dank? Warte nur, dir will ich es noch eintunken.“

 

Mit allerhand Finessen hat sie dann glücklich herausgebracht, an welchem Tag die Babette ihr Kaffee-Kränzlein hat. Sie lacht über das ganze Gesicht, lässt sich einen Dienstmann holen, unterweist ihn nach besten Kräften und verspricht ihm eine Mark Extra-Trinkgeld, wenn er nur seine Sache recht gut und mit möglichst viel Spektakel und Aufsehe fertig bringt.

 

Na, der Dienstmann war gerade auch nicht auf den Kopf gefallen und hat bald gemerkt, um was sich es handelt. Er geht also zu ´s Kontrolleurs, klopft an selbiger Türe an, wo er die Kaffeetassen klappern und die Mäulchen plappern hört, und sagt mit einer Stimme, wie wenn er einen Toten aufwecken wollte: „Einen schönen Gruß von der Frau Ober- Steuer-Kontrolleur und ich soll ihre rote Plüschgarnitur, die wo sie ihnen geliehen hat, wieder holen und soll sie auch gleich mitnehmen, sie braucht sie selbst.“

 

An den Westenknöpfen zieht die erschrockene Frau Kontrolleur den Dienstmann in die Küche, er soll doch nicht so laut reden, er soll morgen wieder kommen, sie könnte mit dem besten Willen die Plüschgarnitur heute nicht hergeben, sie müsste sie erst bürsten und sauber machen, und, um ihn recht gut zu stimmen, drückt sie ihm ein Zwei-Mark-Stück in die Hand.

 

Der Dienstmann trosst sich weiter. Die Babette schnauft auf, aber nach einer Viertelstunde ist er schon wieder da.

 

„Einen schönen Gruß von der Madame Ober- Steuer-Kontrolleur“, sagt er, „und Sie sollen nur ihre rote Plüschgarnitur hergeben, auf ein bisschen mehr oder weniger Dreck käme es ihr nicht an. Draußen vor dem Haus steht mein Wagen, ich soll sie nur gleich aufladen.“

 

Die Babette war ganz vergelstert, aber was will sie machen. Sie sieht draußen vor dem Fenster das Wägelchen stehen, ein Stücker sechs Gassenbuben drum herum, und sagt also zu ihren Kränzels-Schwestern, sie möchten doch entschuldigen und in die Wohnstube gehen, die Plüschgarnitur müsste fort, ihrem Mann täte die hochrote Farbe so in die Augen stechen, jetzt wollte sie sie für eine andere umtauschen. Der Dienstmann packt die warmen Sessel und Sesselchen auf, und wie ihn die Frau Ober- Steuer-Kontrolleur kommen sieht, da patscht sie sich in die Hände: „So, Babette, das ist für die Spinnen-Ärme und das Knochengestell.“

 

Der Frau Steuer-Kontrolleur hat es aber auch keine Ruhe gelassen, und wie sie wieder Kaffee-Kränzlein gehabt hat, da war eine dunkelblaue Plüschgarnitur gestanden. Dass sie mitsamt ihrem Mann und ihren Kindern deswegen hat ein ganzes Jahr trockenes Brot essen müssen, hat sie freilich niemandem erzählt, und schließlich geht es auch niemanden etwas an.

 

Lina Sommer