Die Großmutter in Schwulitäten

aus: Hausapothek (1933)

in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten

 

(Dieser Text ist in pfälzer Mundart zu lesen, wenn er hochdeutsch gelesen wird, ergibt sich an vielen Stellen ein schlechtes oder sogar falsches Deutsch)

 

 

Auf Heinrich und Meinhard waren sie eigentlich getauft, sind aber Heiner und Meiner gerufen worden, und waren zwei kreuzfidele, durchtriebene, lustige pfälzer Buben, so rechte „Ich-Menschelchen“ von fünf und sechs Jahren, die sich so leicht nicht die Butter haben vom Brot nehmen lassen. Wenn man sie nur betrachtet hat mit ihren kugelrunden Gesichtern und ihren pfiffigen Augen, hat man seine helle Pläsier an ihnen haben müssen.

 

Der Papa und die Mama haben einmal eine kleine Erholungs- und Vergnügungstour machen wollen, und dass die zwei hoffnungsvollen Sprösslinge in guten Händen sind, ist die Großmutter zu Besuch gekommen.  Sie war eine einfache, praktische, resolute Frau, ohne jedes Verständnis „für das Jahrhundert des Kindes“ und hat natürlich mit ihren zwei Enkelchen, die ihrerseits wieder keine Freunde vom „kategorischen Imperativ“ waren, ihre liebe Not gehabt.

 

Am ersten Morgen hat die Großmutter ein paar nötige Kommissionen zu besorgen gehabt, und weil es geregnet hat wie mit Kannen, hat sie die zwei Buben nicht mitnehmen wollen.  Damit sie keine dummen Streiche machen im Haus und nicht am Ende durchbrennen, macht die alte Frau kurzen Prozess, schließt die Korridortüre zu und nimmt den Schlüssel mit.

 

Wie sie jetzt wieder kommt und aufmachen will, ist inwendig der Riegel vorgeschoben. Sie fängt an zu klopfen und zu rufen, und das Heinerle und das Meinerle sind auch gleich auf der Bildfläche erschienen.  Sie haben „jenseits“ auf zwei Stühlen Posten bezogen, die Vorhängelchen zurückgeschoben, haben ihre Stumpf-Näschen an die Scheiben gedrückt und, stolz wie die jungen Götter und so recht „von oben herunter“ gefragt:

 

„Großmutter, hast du uns etwas mitgebracht?“

 

„Jawohlchen, auch noch, gucke, das täte gerade noch fehlen, wartet nur, wenn ich hereinkomme, dann kriegt jeder den Buckel voll Schläge.“

 

„Großmutter, ätsch, dann tun wir halt nicht aufmachen, dann bleibst du draußen.“

 

„Was, euch soll ja gleich der Kuckuck holen, wollt ihr jetzt auf der Stelle die Türe aufmachen oder nicht?“

 

„Großmutter, hast du uns etwas mitgebracht?“

 

Die alte Frau hat die Faust geballt, und, wie auf Kommando haben sich die zwei Helden einen Augenblick geduckt, es hat aber nicht lange gedauert, da sind sie wieder in all ihrer Glorie und Herrlichkeit dagestanden und haben gerufen:

 

„Großmutter, hast du uns etwas mitgebracht?“

 

Jetzt ist der geplagten Frau das Verständnis für die Situation aufgegangen; mit Drohen war da nichts zu wollen, was will sie machen, sie verlegt sich also auf das Bitten.

 

„Heiner, gucke, du bist doch der Älteste und der Verständigste, – weißt du, es ist schon elf vorbei. –  Ich muss jetzt zu Mittag kochen, es ist höchste Zeit; ich backe dir auch einen schönen Pfannkuchen, gefüllt mit Preiselbeeren, – mache mir doch die Türe auf.“

 

All die guten Wört(el)chen und die verlockenden Aussichten haben nichts genutzt und nichts gebatt, ‚kühl bis an das Herz hinan‘ frägt der Heiner:

 

„Großmutter, hast du uns etwas mitgebracht?“

 

In heller Verzweiflung hat sich die Großmutter jetzt an den Jüngsten gewandt:

 

„Meinerle, – Lieberle, – du hast doch so ein liebes, gutes Herzlein, gucke, da draußen steht deine alte Großmutter und hat patschnasse Füße und holt sich am Ende noch den Schnupfen oder Leibweh. Gelt, mein Lieberle, du willst doch nicht haben, dass die Großmutter krank wird, und der Doktor kommen muss, – jetzt sei doch so gut, und lasse mich herein.“

 

Aber auch das war für die Katze; sogar das gute Meinerle war unerbittlich, der Heiner hat ihn instruiert und im Chorus haben sie dann gekrischen:

 

„Großmutter, hast du uns etwas mitgebracht?“

 

Wie die alte, arme Großmutter gemerkt hat, dass sie eher hätte einen Stein erweichen können als die hartherzigen Enkelchen, hat sie sich anders besonnen.

 

„Ihr Bübchen“ ruft sie, „freilich habe ich euch etwas mitgebracht, schiebt doch ein einziges Mal den Riegel retour, dann gebe ich es euch.“

 

„Großmutter, wo hast du es denn?“

 

„Ei, da drinnen in meinem Körbchen.“

 

„Großmutter, zeige es doch einmal her.“

 

„Himmel-sapper-lott noch einmal; ihr Spitzbuben, ihr, soll ich vielleicht einen heiligen Eid darauf schwören? Das wird ja immer besser.“

 

„Großmutter, – so – o-weitsch; – du hast gelügt. Großmutter, so, – jetzt kommst du auch noch in die Hölle.“

 

„Jetzt frage ich euch zum allerletzten Mal, wollt ihr mich jetzt hereinlassen, sonst setze ich mich auf die Eisenbahn und fahre heim.“

 

„Großmutter, hast du uns etwas mitgebracht?“

 

Jetzt hat die arme, geplagte Frau kapituliert; schachmatt und ganz gebrochen hat sie sich zum Konditor geschleppt, und wie sie dann mit ihren müden, zittrigen Füßen die Treppe herauf kommt, da stehen die zwei Helden mit ihren treuherzigen Gesichtern erwartungsvoll auf dem Posten und inquirieren:

 

„Großmutter, hast du uns jetzt etwas mitgebracht?“

 

Bedingungslos hat sie dann die zwei Tüten mit Gutsel zur gefälligen Inspektion an die Glasscheibe gehalten, und gleich darauf ist dann, mit einem wahren Indianergeheul, die Tür sperrangelweit aufgerissen worden.

 

Kaputt und mitgenommen bis in das Innerste hat sich die vergelsterte Frau in das Kanapee-Eck gelehnt und die hellen, dicken Tränen sind ihr über die Backen gelaufen.

 

Da kommt der Heiner, seine Gutseltüte in der Hand, leise zu ihr geschlichen und sagt grausam: „Großmutter, Großmutter, und wenn du noch so arg weinst, es hilft dir alles nichts, du hast gelügt, du kommst doch in die Hölle.“

 

Lina Sommer

 

Originalschreibweise:

 

folgt