Der gute Kern

aus: Dess un Sell (1925)

(in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten)

 

(Dieser Text ist in pfälzer Mundart zu lesen, wenn er hochdeutsch gelesen wird, ergibt sich an vielen Stellen ein schlechtes oder sogar falsches Deutsch)

 

 

Da hinten draußen in Pirmasens da hat einmal ein reicher Schlappenfabrikant gewohnt mit seiner Frau und seinem einzigen Kind, – dem Jaköbchen, und der Vater hat überall herumgeschwätzt, „mein Jakob ist ein gescheiter Bube, mein Jakob muss studieren.“ Also ist der Herr Sohn auf das Gymnasium in Zweibrücken, und später auf die Universität nach München geschickt worden, und sein Vater hat sich nicht lumpen lassen, hat ordentlich in den Beutel gelangt, – warum, er hat es ja gehabt.

 

Weil der Jakob durchaus kein Kopfhänger und Spielverderber, im Gegenteil, ein freigebiges (splendid), lustiges, sauberes und patentes Kerlchen gewesen ist, war er überall gut angeschrieben, hat eine Masse Freunde und Freundinnen gehabt und sein Geldlein ist zusammengeschmolzen wie die Butter an der Sonne.

 

Er ist heimgefahren in seiner farbigen Kappe, – nobel aufgeputzt, – und die zwei Alten haben sich gar nicht satt an ihm sehen können. Wie er aber herausgerückt ist, dass er Geld brauchen würde, da hat der Vater angefangen zu spektakeln, „das könnte doch nicht sein, wo das viele Geld alles hingekommen wäre, und wenn der Großvater selig das hören würde, dann würde er sich ja im Grab herumdrehen."

 

Der Jakob stellt sich auf die Hinterfüße und verdeffendiert sich, „er hätte Malheur gehabt und hätte einen Hundertmarkschein verloren, sonst wäre er noch nicht so abgebrannt, und der Vater sollte ihm halt kein Papiergeld mehr geben. Dann könnte so etwas nicht mehr passieren.“

 

„Das bitte ich mir auch aus“, sagt der Alte, zählt ihm dreihundert Mark auf den Tisch, und instruiert den Jakob, dass er keinen Pfennig mehr kriegen würde, wenn er nicht vorher eine ‚spezifizierte Abrechnung‘ geschickt hätte, denn er – der Vater – wollte auch wissen, wohin sein sauer verdientes Geld käme. Der Jakob macht ein pfiffiges Gesicht, gibt seinem Vater die heiligsten und besten Versprechen, und froh wie ein junger Gott fährt er wieder nach München zurück.

 

Es hat nicht lange gedauert, da war sein Gerstel wieder alle, und er simmeliert und simmeliert hin und her, wegen dieser spezifizierten Abrechnung. Auf einmal fängt er an zu lachen wie ein Filou, schreibt einen langen, langen Zettel, und ganz unten darunter notiert er: Einem armen Waisenmädchen geschenkt: 50 Mark.

 

Wie der Vater den Brief liest, da kommt er ganz aus dem Häuschen. „Jesus, Jesus, Sannchen“, kreischt er, „da gucke einmal her, jetzt bändelt der Bursche schon mit den Waisenmädchen an, das könnte mir passen! Es bleibt mir keine andere Wahl, als ich fahre hin, für ihm die Possen auszutreiben."

 

In München erwischt der Herr Schlappenfabrikant seinen Sohn auf der Gasse: „Jakob“, ruft er, und fuchtelt mit den Händen herum, „Jakob, wie kommst du mir denn vor, was hast du mit den Waisenmädchen zu schaffen, was gehen dich die Waisenmädchen an, – gucke du auf deinen Professor, – das ist gescheiter“.

 

Der Jakob war natürlich ganz konsterniert, es war ihm doch ein bisschen arg genant, so auf der Gasse abgekanzelt zu werden, und so erzählt er seinem Vater, er wäre gerade auf dem Weg zu einem Kollegen, und hätte gerade noch so viel Zeit, für mit zum Bahnhof zu gehen, und das würde ja auch ganz gut passen, weil in einer halben Stunde der Zug fahren würde.

 

Sein Alter hat ihn aber nicht so leicht aus dem Garn gelassen; erst hat er versprechen müssen, dass „er keinen Kommers mit den Waisenmädchen anfangen wollte, und dass er sich nicht weiter um sie bekümmern würde“, und erst knapp, ehe der Zug abgefahren ist, da hat der Vater in seinen Geldbeutel gelangt und zweihundert Mark spendiert; noch vom Kupeefenster aus hat er gerufen: „Also, Jakob, ich habe dein Ehrenwort, was die Waisenmädchen betrifft“.

 

Der Jakob hat sich den Kopf zerbrochen, wem er denn noch etwas dedizieren könnte, und wie das Geld wieder futsch war, schreibt er franchement unten an seine Abrechnung: Einer armen Witwe geschenkt: 50 Mark.

 

Jetzt ist der Vater aber ganz außer Rand und Band gekommen, erst die Waisenmädchen, dann die Witfrau, nein, das war ihm doch ein bisschen starker Tobak! Er schreibt, ob denn der Jakob gar keinen Verstand annehmen würde, wenn es sich darum handeln würde, die Witfrauen zu unterstützen, da wäre er, der Vater dafür da, das wäre kein Geschäft für so einen jungen Mann. Im Übrigen wüsste er, der Vater, jetzt schon, wie die Hasen laufen, und von jetzt an wollte er dem Jakob den Brotkorb ein bisschen höher hängen.

 

Der Studio hat sich über den heiligen Eifer halb bucklig gelacht und hat seelenvergnügt die hundertfünfzig Mark eingesteckt. In seiner nächsten ‚spezifizierten Abrechnung‘, die nicht lange hat auf sich warten lassen, notiert er: Der Kirche geschenkt: 100 Mark.

 

Wie der Vater den Passus liest, da lacht er über das ganze Gesicht. „Sannchen“, sagt er zu seiner Frau, „gucke, jetzt nimmt der Jakob doch noch Verstand an, weißt du, für die Kirche habe ich immer etwas übrig.“

 

Und die Mutter weint ganz gerührt: „Habe ich dir es nicht immer gesagt, wie du als so getobt hast, Schorsch, wegen dem vielen Geld, in dem Jaköbchen steckt halt doch ein guter Kern.“

 

Lina Sommer