Aus dem Jugendland

aus: Das Kleine Lina-Sommer-Buch

aus: Dess un Sell

In Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten

 

(Dieser Text ist in pfälzer Mundart zu lesen, wenn er hochdeutsch gelesen
wird, ergibt sich an vielen Stellen ein schlechtes oder sogar falsches Deutsch)

 

 

So ab und zu halte ich Auslese unter meinen Sachen, die wo ich mir als Andenken aufgehoben habe, –  mir so lieb und wert waren – und die ich jetzt mit einem wehmütigen Lächeln betrachte. Mitnehmen auf die letzte Reise kann bekanntlich kein Mensch etwas, und da ist es besser, ich verbrenne die Sachen, als dass andere, die wo kein Verständnis dafür haben – und auch nicht haben können – sich einmal damit abgeben müssen.

 

Das oberste war ein loses Blättchen von der Hand von meinem Bruder Schorsch, der wo selbigenmals zwölf Jahre alt gewesen ist:

 

Lina und Frida, die blassen,

sind schon aus der Schule entlassen;

drum haben die Eltern beschlossen,

sie tanzen lernen zu lossen.

Zur Guttendhal gehen sie beide,

die Mamma geht ihnen zur Seite.

 

Jetzt tun sie gar nichts mehr schaffen,

als nur in den Spiegel zu gaffen,

oft kommen auch andere so Pflanzen,

da hupsen sie alle und tanzen

und machen als so Komplimente,

dass ich mich fast schepp lachen könnte.

 

                                                                           Mannheim, Januar 1879

 

Weiter unten war mein erstes kleines Poesie-Album aus dem Jahr achtzehnhundertsiebzig, und ich will ein paar von diesen Verslein aufschreiben. Liebe Zeit, wo werden alle die kleinen Krotten, all die treuen „Freundinnen“ von selbigen Mals hingekommen sein, – was werden sie für ein Schicksal gehabt haben und wie viele – oder besser gesagt, wie wenige davon – werden noch am Leben sein?

 

Auf der ersten Seite, als vielversprechender Anfang, steht geschrieben:

 

Drei Röslein im Garten,

drei Jäger im Wald,

im Sommer ist es lieblich,

im Winter ist es kalt.

 

Dies wünscht dir, liebes Linchen, deine treue Freundin Lischen.

 

Auf der zweiten Seite heißt es:

 

Wenn ich einst im kühlen Grabe

Jahrelang geschlummert habe,

oh, dann schreib in meinen Sand,

diese hab ich auch gekannt!

 

Zum ewigen Andenken an dein liebes Gretchen.

 

Dann kommt ein Verslein:

 

Wenn du einst als Großmama

Im Lehnstuhl ruhst  beim Großpapa,

dann denke oft in deinem Glück

an deine dich liebende Marie zurück.

 

Ein Nachbarsbube – ich war gut anderthalb Köpfe größer und dabei jünger als er – hat sich auch verewigt:

 

So viel Flöh ein Pudelhund,

so viele Jahre leb gesund,

lebe glücklich, lebe lang,

vielgeliebte Hopfenstang.

 

In Ergebenheit Heinrich

 

Heinrich – Heinrich – wo wirst du hingekommen sein in deinem Leben. Am Ende bist du auch unter die Dichter gegangen mit deinem vielversprechenden Talent – dann tätest du mir leid!

 

Heilig und ernst mit der Freundschaft hat es eine kleine Mitschülerin genommen:

 

Rosen verwelken, Marmor zerbricht,

aber unsere Freundschaft nicht;

unsere Freundschaft soll bestehen

bis wir einst zum Grabe gehen, –

so wie sich zwei Täubchen küssen,

die von keiner Falschheit wissen.

 

Eine kleine Warnung steht in diesen Zeilen:

 

Hüte dich vor solchen Katzen,

die vorne lecken und hinten kratzen.

 

Und darunter steht:

So ist nämlich die Anna eine!

Das Sprüchlein:

 

Liebe mich, wie ich dich,

hopp-sassa – Gedankenstrich

 

Ist drei Mal vertreten, dagegen nur ein Mal:

 

Lebe glücklich, lebe froh,

wie der König Salomo,

der auf seinem Throne saß

und gebratene Äpfel aß.

 

Mein Bäslein hat in Blumenschrift gemalt:

 

Ich mache nicht lange

ein zierlich Gedicht,

ich schreibe ganz einfach:

ver-giss-mein-nicht.

 

Und jetzt kommt das vorletzte Blättchen, auf das ich mit feuchten Augen gucke. Da hat nämlich mein Großmutterchen mit zittrigen Fingern geschrieben:

 

Könnt ich mehr als wünschen,

könnt ich geben,

oh, wie sollten da so froh und rein,

reich an Freuden

deine Tage dir entschweben,

Oh, was solltest du so glücklich sein!

Doch für das, was ich nicht geben kann,

fleh ich für dich den Himmel an.

 

Liebes Kind, denke manchmal an deine Großmutter Rosina Müller.

 

Ja, ich habe oft an sie gedacht, wenn mir der Wind kalt um die Ohren gepfiffen ist, an die liebe, gütige, warmherzige Frau. Wissen möchte ich, ob sie das Verslein selbst verfasst hat, – es täte ihr ja ähnlich sehen – und ob ich also von ihrer Seite her erblich belastet bin. Aber wie mir das Verständnis aufgegangen ist für die alten Leute, da war sie schon lange schlafen gegangen.

 

Das allerletzte Blättchen muss ich auch noch erwähnen; da steht nämlich in Kritzel-kratzel-Schrift:

 

Wer es besser meint als ich, der schreib sich hinter mich.

 

Gewidmet von eurem Kindermädchen Auguste.

 

Lina Sommer

 

Originalschreibweise folgt