Allerhand Ängste

aus: Hausapothek

in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten

 

(Dieser Text ist in pfälzer Mundart zu lesen, wenn er hochdeutsch gelesen wird, ergibt sich an vielen Stellen ein schlechtes oder sogar falsches Deutsch)

 

 

Wir haben einmal ein Kindermädchen gehabt, das hat mit aller Gewalt reich werden wollen, und zwar auf anderer Leute ihre Kosten.

 

An einem schönen Morgen hat sie uns erzählt: ihr lieben Kinder, jetzt habe ich schon drei Nächte nacheinander die Numero 777 im Traum gehört, ich glaube, es ist mein guter Geist, der wo sie mir verraten hat; ich meine, ich sollte einmal in der Lotterie spielen und mein Glück probieren und auf die Numero 777 setzen.

 

Gebt mir halt ein jedes von euch aus seinem Sparkässlein einen Gulden, und wenn ich gewinne, dann teilen wir ehrlich nach dem Sprüchlein „übe immer Treu und Redlichkeit“. Der Haupttreffer sind vierzigtausend Gulden und der Niedrigste sind zehn Gulden. Wenn ich also das große Los gewinne, dann kriege ich zwanzigtausend Gulden – und ihr kriegt zwanzigtausend Gulden, da fallen auf jeden Kopf von euch vier Kindern fünftausend Gulden, das kann man sich doch gefallen lassen – oder vielleicht nicht? Und wenn ich das Niedrigste gewinne, dann kriege ich fünf Gulden und jedes von euch kriegt einen Gulden und fünfzehn Kreuzer, dann habt ihr als noch fünfzehn Kreuzer verdient. Unserem Bruder, er war ein rechter Profitmichel, hat das Ding eingeleuchtet, er hat also heimlich aus seinem Sparkässlein einen Gulden spendiert, und wir drei Mädchen haben es genauso gemacht.

 

Jetzt haben wir nur noch vier Wochen bis zur Ziehung, hat unsere Christine konstatiert, und ihr rundes rotes Gesicht hat nur so gestrahlt vor lauter Pläsier. Anders war es mit uns Kindern.

 

Lieber Himmel, haben wir uns gedacht, was fangen wir mit dem vielen Geld an, wo tun wir es verstecken, dass der Papa nichts davon merkt. Wir haben ja gewusst, dass er das Lotteriespiel in Grund und Boden verdammt.

 

Ich habe alle Abend gebetet: ach, lieber Gott im Himmel, du kannst ja alles – mach‘ doch, dass die Christine das große Los nicht gewinnt, und ich bin überzeugt, meine Geschwister haben es gerade so gemacht. Je näher es auf die Ziehung zugegangen ist, desto gedrückter waren wir alle vier und an einem schönen Tag sagt die Mama zum Papa: da gucke einmal, wie die Kinder aussehen, wie die teure Zeit, gleich morgen muss der Doktor her.

 

Der Doktor ist also gekommen und hat uns Wurmsamen verschrieben, jeden Abend und Morgen ein Kaffeelöffelchen voll in Latwerg zu nehmen. Zu allem Anderen auch noch das Malheur.

 

Der große Trag ist also angebrochen, strahlend wie eine junge Braut am Hochzeitsmorgen ist die Christine aus ihrer Kammer gekommen, und wir Kinder haben nicht das Herz gehabt, von der Schule heim zu gehen.

 

Da sehen wir sie, langsam und betucht, wie wenn ihr die Hühner das Brot weggefressen hätten, und mit einem Gesicht, so lang wie am Jämmerles-Tag die Gasse herunterkommen – ein Jubelschrei aus vier Kehlen, das Vaterland war wieder einmal gerettet.

 

Lina Sommer