So Plänchen

aus: Dess un Sell

aus: Hausapothek

in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten

 

 

Ich habe einmal eine Frau gekannt,

die hat alsfort gegreint, geflennt:

Ach, liebe Zeit, es ist nicht mehr schön,

was tue ich auf der Welt allein,

mein Mann liegt auf dem Kirchhof draußen,

die Kinder sind alle aus dem Haus,

wie pfeift der Wind so rauh, so kalt,

gelt, lieber Herrgott, hole mich bald.

 

Da hat ihr kürzlich in der Nacht

der Storch ein Enkelchen gebracht,

ein Mädelchen, so lieb und zart

und von einer ganz besonderen Art,

mit Äug(el)chen wie ein Weihnachtslicht

und so ein herziges, goldiges Gesicht.

 

Jetzt betet sie: lieber Herrgott, ja,

gelt, lasse mich noch eine Zeitlang da,

bis unser Kindlein ist getauft,

und bis es auf der Gasse herumläuft,

 

spazieren geht mit seiner Puppe,

einen blauen Schlopp (Schleife) im kleinen Zopf.

Möchte sehen, wie ihm das Ränzlein steht,

wenn ´s erste Mal zur Schule es geht,

 

sein Vater stolz zur Kirche es führt,

wenn es der Herr Pfarrer konfirmiert,

und wenn es erwachsen ist, oh mei,

vom ganzen Haus der Sonnenschein.

 

Wenn einer kommt und um es freit,

ein braver Bursche von guten Leuten,

und wenn es einmal Hochzeit hat,

das gibt ein Fest, du lieber Gott.

 

Die alte Frau, die faltet die Hände

und macht so Plänchen ohne Ende,

sie sinnt so hin, sie sinnt so her,

an das Sterben denkt sie jetzt nicht mehr.

 

Lina Sommer

 

Originalschreibweise:

folgt