Prinzesschen Tausendschön

eigenes Buch

(hochdeutsch)

 

War einmal ein kleines Mägdelein gar lieblich anzusehen,

das nannten seine Eltern Prinzesschen Tausendschön;

es hatte rote Bäckchen, Blauäuglein hell und klar,

und weiße Mausezähnchen und blondes Lockenhaar.

 

Als es nun größer wurde, lief es in der Burg umher,

und alle, alle Leute, die liebten es gar sehr,

denn es war immer fröhlich und voller Freundlichkeit,

den Menschen und den Tieren tat niemals es ein Leid.

 

Wenn es Geburtstag hatte, war schön der Tisch gedeckt,

mit vielen feinen Gaben, mit allem, was gut schmeckt;

auch viele, viele Bücher bekam es von nah und fern,

denn unser Tausendschönchen, das las und lernte gern.

 

Doch all die guten Sachen, die aß es nicht allein,

es packte gleich die Hälfte in einen Korb hinein,

und schickt damit die Zofe in das nahe Dorf geschwind,

damit sie dort erfreue ein armes, krankes Kind.

 

Es kam ein böser Ritter auf einem schwarzen Ross,

der kam mit Speer und Lanzen, mit seinem ganzen Tross;

die Burg wollt´ er gern haben, weil sie so schön gebaut,

weil sie von stolzer Höhe weit in die Lande schaut.

 

Da gab es ein schweres Kämpfen, der böse Feind gewann,

mit Schreien und mit Toben, stürmt er den Berg hinan;

das Tor war bald erbrochen, oh Not, oh Herzeleid,

der Burgherr und die Herrin, sie starben alle beid´.

 

Johann, der alte Diener, der merkte die Gefahr,

in der auch das Prinzesschen, das arme Waislein, war;

auf seinen starken Armen trug er es alsobald

aus Streit und Rauch und Flammen hinaus zum grünen Wald.

 

Da war nun das Prinzesschen so ganz und gar allein,

müde setzte es sich nieder auf einen moosigen Stein;

die Eltern beide gestorben, kein Mensch sonst in der Näh´,

wie tat dem armen Kinde das Herzchen so weh.

 

Es fand ein Köhlerhäuschen ganz im Gebüsch versteckt,

wie froh war Tausendschönchen, als es die Tür entdeckt;

ganz leise und bescheiden bat es um ein Nachtquartier,

die Frau, die lachte und sagte: komm nur herein zu mir.

 

Die Alte mit dem Höcker, die war ein böses Weib,

sie quälte alle Menschen, das war ihr Zeitvertreib;

sie kam mit ihrer Schere, klipp-klapp,klipp-klapp,klipp-klapp,

dass sie die blonden Locken ritsch-ratsch, ritsch-ratsch schneid ab.

 

Prinzesschen voller Schrecken lief in den Wald hinein,

die blauen Glockenblumen, die läuteten gar fein;

die Bäume rings sich neigten, Eichhörnchen kam geschwind,

Herr Specht hört auf zu hämmern,schaut nach dem lieben Kind.

 

Zum Glück kam gerad´ des Weges ein kleiner Wichtelmann,

der nahm sich gleich so freundlich um Tausendschönchen an,

er sprach: geh, musst nicht weinen, bin froh, dass ich dich fand,

ich leucht´ mit dem Laternchen, komm, gib mir deine Hand.

 

In eine kleine Hütte führt er das Kind hinein,

und machte ihm ein Bettchen von Gras und Moos gar fein;

er ließ ihm sein Laternchen, der Mond kam schnell herauf,

und tausend Sternlein gingen am hohen Himmel auf.

 

Das liebe Tausendschönchen, das betete nun fromm,

dass es zu seinen Eltern bald in den Himmel komm;

die Häslein und die Rehe, die kamen still zur Nacht,

und hielten an dem Bettchen gar treu und still die Wacht.

 

Froh ritt zum Wald zum Jagen der Prinz Jung-Wunderhold,

er trug ein seidenes Wämslein, das war bestickt mit Gold;

und eine Reiherfeder hatte er auf dem Barett;

hell schien die liebe Sonne auf seine goldene Kett´.

 

Als er das Tausendschönchen beim Blumenpflücken fand,

stieg er von seinem Pferde und reichte ihm die Hand;

er sprach so lieb und freundlich, sie gingen Seit´ an Seit´,

das arme Kind erzählte sein ganzes Herzeleid.

 

Da sprach der Prinz ergriffen: sag, willst du mit mir gehen,

ich will dich treu behüten, kein Leid soll dir geschehen;

dann setzt´ er ihm ein Krönlein aus purem Golde auf,

auf seinen weißen Zelter hob er es schnell hinauf.

 

Das liebe Tausendschönchen, das so verlassen war,

ist jetzt, du darfst mir es glauben, Frau Königin sogar;

Es wohnt in einem Schlosse, wie man kein zweites findet,

wenn ich es mal besuche, nehme ich dich mit, liebes Kind.

 

Lina Sommer