Am Abend II
aus: Im Vorübergehn
(hochdeutsch)
Der Tag, der mich so müde gemacht,
mit all der Arbeit, all der Hast,
der laute Tag ist abgetan,
der stille Abend kommt zu Gast.
Nun hält es mich nicht länger mehr
im engen Zimmer und im Haus,
wäre es nur für einen Augenblick,
ins Freie gehe ich still hinaus.
Ein heimeliges Dämmerlicht
liegt ringsum über Berg und Tal,
die Vöglein schlüpften schon ins Nest,
die Blumen schlafen allzumal.
Kein Misston und kein schriller Laut,
nur Gottesfriede um mich her,
und droben, hoch am Firmament,
der kleinen Sterne großes Heer.
Ich komme mir so geborgen vor
wie einst als Mutters kleines Kind,
und fühle die Nähe derer alle,
die mir vorangegangen sind.
So möchte ich einst bei denen sein,
die meinem Herze nahe stehen,
wenn nach des Tages Last und Mühe
sie still im Freien sich ergehen.
Lina Sommer