Allerseelengedanken

aus: Im Vorübergehn

(hochdeutsch)

 

Die Vöglein haben uns verlassen,

kahl und verödet liegt die Welt,

ein rauher Wind fegt durch die Gassen,

kein Blümlein mehr in Wald und Feld.

 

Nur draußen in den stillen Gärten

erstrahlt heut – vor des Winters Nacht,

vor seinen Stürmen, seinen Härten

des lieben Sommers lichte Pracht.

 

Und niemand lässt es sich heut wehren,

eh auch das Jahr zum Sterben geht,

die Heimgegangenen zu ehren

in Dankbarkeit und Pietät.

 

Ich lobe mir die schöne Sitte,

die überall in Dorf und Stadt

und im Palast und in der Hütte

sich treulich eingebürgert hat.

 

Und doch, die stillen Schläfer drunten,

die in dem engen Kämmerlein

für immer unserm Aug entschwunden,

kann keine Gabe mehr erfreu´n.

 

Die Lebenden froh zu beglücken

so viel ein Jedes nur vermag,

nicht erst ihr letztes Haus zu schmücken,

mahnt uns der Allerseelentag.

 

Lina Sommer